Shonen A

Shonen A
Krimi, Soundtrack, Elektropop
Ein Fall aus Japan
Die Story ist schnell erzählt.

»Shonen A«, japanisch für »Knabe A«, ist die anonymisierende Bezeichnung für einen Vierzehnjährigen, der eines grausamen Mordes an einem jüngeren Schüler überführt wurde. Der Fall »Shonen A« ereignete sich 1997 in der japanischen Hafenstadt Kobe. Die schockierte Öffentlichkeit beklagte den Verfall der Hightech-Jugend und machte unter anderem grausame Videos, Computer-Heldenspiele und Comics für die Gewalttat mitverantwortlich. Die schriftlichen Aufzeichnungen und äusserungen des Täters waren stark beeinflußt von den Inhalten der unter japanischen Jugendlichen beliebten Spiele.

Der Sound ist dem Kriminalfall auf der Spur.
In 19 Musik-Tracks setzt »Shonen A« Zeitungsberichte über den Fall sowie veröffentlichte Drohbriefe und Tagebucheintragungen des Täters um: in tanzbare Popsongs mit Techno, House, oder freestyle-Electronica, in meditative chants, in instrumentals, Stimmsamples und krimihafte Soundtracks mit filmischen und psychedelischen 70er-Jahre-Anleihen.
Eine deutsche Sprecherstimme (Peter Veit) führt durch den plot des geschilderten Mordfalls, trägt die schwülstig-gruseligen Aufzeichnungen des Täters und die Zeitungsmeldungen mit gleichbleibender Sachlichkeit vor. Hans Platzgumers Ambient-Flächen darunter halten und steigern die Spannung, sägen dabei heimlich an den Nerven. Für die Gesangsparts von Ca Mi Tokujiro findet Platzgumer vielfältige freie Formen der elektronischen Musik, die die üblichen Genres ignorieren und verlässlich auf starke Rhythmen zählen.
Tokujiro singt auf japanisch. Texte, die den Täter befragen, die dessen Verwirrung zwischen virtueller und realer Welt umschreiben. Sprache und Stimme vermitteln eigenwillige, exotische, gefühlsbetonte Stimmungsbilder. Leicht wiedererkennbare Gesangslinien in Popsong-Refrains, mit schnell nachvollziehbaren Melodieführungen, wechseln sich ab mit meditativen Gesängen, chants, die das im traditionellen Stil gehaltene, buddhistische Gebet »Hannya Shingyo« - das bekannteste Sutra der buddhistischen Gemeinde, vortragen.
»Shonen A« betreibt nicht explizit Gesellschafts- oder Medienkritik. Und doch stellt der Elektro-pop-Soundtrack unbequeme Fragen nach den Gründen für die beängstigende Jugendkriminalität inJapan und das wiederkehrende Phänomen des jugendlichen Mörders, der das Morden als »eine Erfahrung machen« bezeichnet. Das brüchige Szenario eines asiatischen Hightech-dolce vita zwischen traditionellen Erziehungsritualen, das eine Generation zur kollektiven Konsumenten-Zielgruppe einer effizienten Industrienation erklärt hat, macht »Shonen A« ganz nebenbei zu seiner musikalischen Hauptsache.
(Barbara Schäfer)

Hans Platzgumer, in Innsbruck geboren, lebt in München. Platzgumer ist Solomusiker und Produzent, spielte bei H.P. Zinker und den Goldenen Zitronen und betreibt verschiedene Musik-Projekte wie Shinto, Queen of Japan und cube&sphere. Er komponiert für Hörspiel und Film.
www.platzgumer.net

Ca Mi Tokujiro, in Tokio aufgewachsen, studierte Kunst an der Akademie in München. Spielt bei den Tokyo Pikadons und gründete zusammen mit Platzgumer die japanische Popband Shinto. Die Shinto-CDs »Ai To Kakumei« und »liberal bullshit« erschienen 1999.

13 Jahre eingesperrt
Die meisten Menschen nehmen fälschlicherweise an, dass das Biest auch bestialisch aussieht. In der Regel sieht das Biest noch normaler aus als deine Geschwister und Eltern, und es benimmt sich auch so. Es täuscht mehr Tugend vor als die Tugend an sich jemals haben könnte. ähnlich wie eine Rosenknospe aus Wachs oder ein Pfirsich aus Plastik uns oft echter und perfekter erscheinen.

Asahi Zeitung 27.05.1997
Gegen Abend wurde der Polizei berichtet, dass in der städtischen Schule im Suma-Bezirk von Kobe ein abgesägter Kopf eines Kindes gefunden worden ist. Der Kopf wurde als der des elfjährigen Jun, Sohn des Arztes Hase, wohnhaft im selben Bezirk, identifiziert. Seit dem 24. Mai nachmittags war der Junge vermisst und von der Polizei gesucht worden. Im selben Bezirk wurden im März nacheinander zwei Anschläge auf Schulmädchen verübt. Eines davon erlag später seinen Verletzungen. Die Polizei schließt einen Zusammenhang zwischen den drei Anschlägen nicht aus.
Den Polizeiberichten zufolge wurde der Kopf vor der Schule auf einem Torpfosten gefunden. Im aufgeschlitzten Mund des Jungens fand man einen Drohbrief an die Polizei, den der Täter offensichtlich selbst dort platziert hatte.

Yomiuri-Zeitung 28.05.1997
Im Mund des ermordeten Jungen befand sich ein Brief mit den Schriftzeichen Wein, Teufel, Rose, Heilig und Kämpfer: SAKAKIBARA SEITO.

Hora Matasa
Schon wieder,
leidend, vertuschend, verhätschelt - verspielter Mord
und hier,
vereinsamt, verantwortungslos, zitternd - verrückter Egoismus
Schon wieder,
ungeliebt, unverstanden, niemand verzeiht - kann nicht fliehen
und hier,
darf nicht lachen, darf nicht zürnen, darf nicht verrückt werden -
es gibt keine Hilfe

Asahi Zeitung 30.05.1997
»Nun, lasst uns jetzt das Spiel eröffnen!« Dieser Satz aus dem Drohbrief, den man am Tatort fand, deutet auf eine starke Beeinflussung des Täters durch Comic-ähnliche Computerspiele hin. Der Täter verharmlost und banalisiert seine bestialische Tat.
Kriminalpsychologen vermuten einen hochgradig gefährlichen Psychopathen, der in einer virtuellen Welt lebt. Die stark sadistischen und selbstherrlichen Züge lassen auf einen männlichen Schulaussteiger schließen.

Kurutteru
Es ist verrückt
sehr verrückt
alles ist verrückt
sind wir das Gemüse oder seid ihr es
seid ihr die Zerstörer oder sind wir es
es läuft über
alles läuft über
immer zu läuft es über
bin ich überflüssig oder bist du es
bist du geköpft oder bin ich es
eine tägliche Dosis Ohnmachtsgefühl
eine tödliche Dosis Heldenpose
eine schändliche Dosis Menschlichkeit
lass es vorbeiziehen
es tut nur weh

Yomiuri Zeitung 29.06.1997
Die Nachricht von der Festnahme eines 14 jährigen Jungen als Mörder löste eine tiefe Bestürzung in der Öffentlichkeit aus. Die Ermittlungen führten zu dem Jungen, der Zeugen zufolge Katzen folterte und damit prahlte, sich an der Schule rächen zu wollen.
Der 14 jährige Schüler sagte aus, dass die Wahl des Jungen Jun Hase eher zufällig war. Er hatte in dem geistig leicht behinderten Opfer einen Schwächeren gefunden. Der Täter sprach den Jungen mit den Worten an: »Ich werde dir Schildkröten zeigen, kommst du mit?«

Musik: Hans Platzgumer
Text und Gesang: Ca Mi Tokujiro
Sprecher: Peter Veit
Produktionsassistenz: Christiane Klenz
Realisation: Hans Platzgumer
Layout: Daniel Kluge
Produzentin: Barbara Schäfer
Produziert beim Bayerischen Rundfunk und im Son Montuno Studio

www.intermedium-rec.com

Shonen A

Hans Platzgumer
Ca Mi Tokujiro
Shonen A
intermedium 10
Wenige Restexemplare
4 Seiten, Digipak
CD
erschienen 2001
ISBN 978-3-939444-11-4
€ 20,00